5. SAG7 Fachaustausch: Brücke zur wissenschaftlichen Anerkennung

SAG7 war und ist es ein großes Bedürfnis, viele berufliche Schichten symbolisch an einen Tisch zu bringen, um die Aufklärungsarbeit zu forcieren und weitere Forschungen anzuregen. So sind vor über zwei Jahren die Fachtagungen geboren worden.

Die Wissenschaft zur Hochsensibilität steckt noch in den Kinderschuhen, dennoch möchten Hochsensible Menschen (kurz: HSM) in ihrer Wahrnehmung ernst genommen werden. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, in seinen Aussagen nicht übergangen und missachtet zu werden. Für HSM ist das um ein Vielfaches bedeutsamer. Es ist jetzt wahrhaftig an der Zeit, dass über diese Veranlagung nicht weiter die Nase gerümpft und die Augen verdreht werden, sondern dass diese Andersartigkeit und somit das Konstrukt der Hochsensibilität nicht mehr verleugnet wird. Wenn ein hilfesuchender HSM eine Praxis betritt, ist es essenziell, dass sein Gegenüber Offenheit zum Thema HS besitzt. Es bedarf der Aufklärung, dass die Aussagen zu Empfindungen und Wahrnehmungen von HSM nicht sofort pathologisiert, sondern respektvoll akzeptiert werden.

Ziel der 5. Fachtagung war es, ein Infoblatt auszuarbeiten, das Hochsensibilität kurz und prägnant erklärt. Ein HSM ist kein Wunderling oder Sensibelchen, sondern es gibt wahrhaftig ein Konzept dazu, an dem auch geforscht wird. So hat ein Hochsensibler, der sich in Behandlung begibt, ein für jedermann/jederfau aufklärendes Instrument zur Hand, mit dem er die Chance hat, in seiner Aussage nicht missachtet oder belächelt zu werden, sondern Uninformierten HS wertschätzend näherbringen kann. Hochsensibilität ist keine Krankheit (und damit auch keine Diagnose). Und auch wenn sie nicht in Lehrbüchern steht und für die Mehrheit nicht nachvollziehbar ist und eher unglaubwürdig erscheint, dürfen HSM von Berufsgruppen, die überwiegend damit zu tun haben, nicht von oben herab behandelt werden.

Die vorangegangenen Fachtagungen – organisiert und geplant von einem kleinen SAG7-Team und dem Mitinitiator Dr. Aigner (Vorstand der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie am Universitätsklinikum Tulln) – haben gezeigt, dass das Interesse über diese Besonderheit großen Anklang findet. Fachtagungen sind ein unbeschreiblich wertvoller Bestandteil der Aufklärungsarbeit von SAG7.

Am 10. Februar 2021 um 16.00 Uhr begrüßte Karin Novi, Obfrau der Selbsthilfe- und Patientenorganisation, bei der mittlerweile fünften Veranstaltung hocherfreut die zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen. Anmeldungen gab es von Vertretern von Institutionen, Selbsthilfen, Experten der Hochsensibilität, Ärzten, Gesundheitsberufen wie auch von vielen Hochsensiblen und Angehörigen. Nach der kurzen Vorstellungrunde stimmte Dr. Aigner die TeilnehmerInnen mit der Grundlagendefinition von Hochsensibilität (als zentraler Begriff des von Aron & Aron Ender der 90er-Jahre erstellten Konzeptes Sensory Processing Sensitivity) auf das Thema ein.

Es ist für Dr. Martin Aigner überaus wichtig zu erkennen, dass es sich bei HS um keine Filterstörung, sondern eine andere Art von Reizverarbeitung handelt. HSM zeichnet eine subtilere Wahrnehmung und somit eine extrem scharfsinnige Reizverarbeitung aus. Den Stammbesuchern der Tagungen ist die Präsentation des Blumenbildes von Aron & Aron schon vertraut, das für Dr. Aigner die drei Gruppen „Nieder-, Mittel- und Hochsensibel“ darstellt. Die Natur lehrt uns ja schon durch den robusten Löwenzahn, die stabile Tulpe und die empfindsame Orchidee, dass es unterschiedliche Typen gibt. Keiner käme wohl auf die Idee, eine Orchidee zu verurteilen, weil sie eine andere Behandlung braucht als die Mehrheit der Pflanzen. Oder doch?

Dr. Blach präsentierte ihre Studien im Rahmen ihrer Dissertation im Zusammenhang mit anderen Ergebnissen aus der Forschungslandschaft. Es ging grundsätzlich um die Zusammenhänge der bio-psycho-sozialen Aspekte der Hochsensibilität. Viele Daten, Fakten und anschaulich erklärte Ergebnisse informierten über die genetische Disposition, das soziale Umfeld und das höhere Gedankenvolumen von HSM. Wissenschaftlich aufgebaut und geprägt durch Fachausdrücke, lauschten die TeilnehmerInnen gespannt den Ausführungen von Dr. Blach. Ihre Präsentation ist » hier abrufbar.

Im Anschluss wurde zu diesem Vortrag eine Fragerunde von Michaela Neubauer, Chefredakteurin von Gesund&Leben, dem größten österreichischen Gesundheitsmagazin, eröffnet. Auch sie ist mittlerweile ein fixer Bestandteil der Online-Veranstaltungen von SAG7 und koordiniert den Chat. Durch ihr professionelles Auftreten und ihre unglaubliche Auffassungsgabe erfüllt sie die herausfordernde Aufgabe mit engelhafter Bravour. Sie brilliert durch ihre journalistischen Fähigkeiten und bringt Leben auf den Bildschirm.

Mit dem bestehenden Infoblatt für VertreterInnen von Heilberufen (Somato-Pathologie), welches Grundlage für eine aktuelle Version sein sollte, erfolgte der Übergang zu Dr. Jack, Präsident des Informations- und Forschungsverbundes Hochsensibiliät e.V. Bereits seit Jahren wenden sich enorm viele leidgeprüfte HSM mit Anfragen an ihn, wie man denn als HSM in der Ärzteschaft nicht ständig ignoriert und verpönt wird. Dr. Jack nahm sich das zu Herzen und erstellte 2013 ein Schreiben, welches in den Reihen von SAG7 liebevoll „Schutzbrief“ genannt wird. Er unterstrich in seinem Vortrag, dass HS keinesfalls zu pathologisieren ist, sondern vielmehr als eine Art Temperamentsmerkmal gilt. Jeder HSM, der sich ein Leben lang mit seinen Fremdheitsgefühlen auseinandersetzt und sehr früh spürt, dass er anders, aber keinesfalls krank ist, erlebt eine unbeschreibliche Erleichterung, wenn er sich als hochsensibel erkennt. Weiters führte er aus, dass z.B. bei Künstlern und Musikern von der Gesellschaft sogar eine Sensibilität vorausgesetzt bzw. erwartet wird.

In der Diskussion ergab sich, dass es schon seit langer Zeit Vorläufer zu diesen Themen gibt. Allen voran Dr. Klages, der einmal die Aussage tätigte, dass sensible Menschen ein Zwischenfeld einnehmen. Er veröffentlichte sogar das Buch „Der sensible Mensch“, das auf jeden Fall empfehlenswert ist.

Bei Dr. Benecke ging es um Erbsubstanzen, genetische Sichtweisen und vor allem um seine vielschichtigen Erfahrungen mit Menschen, die in der Gesellschaft oftmals durch den Raster fallen und deshalb seine besondere Aufmerksamkeit erhalten. Mit anschaulichen und teilweise skurrilen Gleichnissen erweckte er große Verwunderung und Faszination. Er weiß, dass gerade HSM sehr detailorientiert sind und viel Freude an ihrem sozialem Lohn empfinden.

Der fachliche Austausch der Referenten, der Diskurs um Forschungen, Studien und Therapieansätze und die immer wieder auftauchenden Fragen an Dr. Blach gestalteten sich sehr lebendig, kurzweilig und hochinteressant. Obwohl diese Fachtagung einen sehr wissenschaftlichen Tiefgang hatte, konnte sie doch weitgehend sehr verständlich und allgemein zugänglich aufklären.

Fazit der Vortragenden: Eigentlich sollte ein Infoblatt nicht nötig sein! Trotzdem ist genau so ein Schreiben in vielen Situationen enorm hilfreich. Dr. Aigner warf sogar ein, dass es empfehlenswert sein könnte, bereits im Arztbrief auf HS hinzuweisen. Dennoch: Jeder HSM muss damit rechnen, nicht verstanden zu werden. Sogar Mitmenschen, die guten Willens sind, können es nicht begreifen, weil es für sie unvorstellbar ist. Generell ist jedoch positiv zu erkennen, dass dem Thema immer offener gegenübergestanden wird und sich vereinzelt genau jene Berufsgruppen damit auseinandersetzen, die normalerweise nur mit Diagnosen beschäftigt sind. Der Appell von Dr. Benecke bewegte zum Schluss noch die Massen: Er wünscht sich generell mehr Toleranz für Identitätsgruppen. Da schließt sich SAG7 aus ganzem Herzen an.

Ein breites Feld hat sich bei dieser Fachtagung aufgetan und weitere Forschungen sind für alle wünschens- und erstrebenswert. SAG7 hat großes Glück, seinen Gästen durch so viele kompetente Mitwirkende ein hervorragendes und vielschichtiges Programm zu bieten. Es war ein wahrhaft bereichernder Nachmittag – mit so viel unterschiedlichen Persönlichkeiten, so viel Wissen, wertschätzendem Austausch und getragen von einem harmonischen Miteinander. Schritt für Schritt kommt das Uniklinikum Tulln-Fachtagungsteam dem Ziel einer Forschungsarbeit zur Feststellung der Hochsensibilität näher.

Herzlichen Dank, schön, dass ihr da seid!
Euer SAG7 Team

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